Dienstag, 22. Januar 2008

Bei den Sisters

Ema hat Polio und sitzt mittlerweile im Rollstuhl. Er kann also auf Dauer wegen des hohen Pflegeaufwandes nicht hier bleiben, ist aber wahnsinnig interessiert und auch sehr clever, z. B. hat er mit meiner Kamera schon super Fotos gemacht und erklaert den Jungs in der study-time auch mal was auf Suaheli, wenn sie es auf Englisch nicht verstehen wollen - was aber durchaus auch an meinem hervorragendem Englisch liegen kann *lach*. Er soll auf alle Faelle weiterhin auf eine Schule gehen koennen, das will auch Father Samy. Eine Moeglichkeit waere ihn bei den Sisters unterzubringen. Samy will mit ihnen sprechen und nimmt uns mit, damit wir die Arbeit der Sisters kennen lernen.
Wir werden in einem wunderschoen gepflegten Garten herzlich empfangen. Was mir schon laenger auffaellt ist, dass die Nonnen, Brueder und Pfarrer hier den Menschen viel naeher sind - zudem bekommt man bei ihrem Anblick nicht gleich ein schlechtes Gewissen, weil man letzten Sonntag nicht in der Kirche war und den davor auch nicht, weil zwischen der letzten Beichte und heute mehr als 10 Jahre liegen und man generell nichts vom Beichten haelt, weil man es doch kaum "abbeten" kann, wenn man beispielsweise jemanden kaltbluetig umgebracht hat!? Nein, also das ist mir zu einfach. Aber zurueck ins Mutter Theresa Heim. Eine der Schwestern macht "die Runde" mit uns, welche uns zuerst ins Babyzimmer fuehrt. Die Kleinen werden von einer Frau ohne Beinen und einer Schwester betreut und das Juengste ist gerade mal 2 Wochen alt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlecht es mir gehen muesste, damit ich es auf der Strasse liegen lasse. Aber hier gibt es durchaus solche unvorstellbaren Situationen, ein Kind nicht ernaehren zu koennen und man darf auch nicht vergessen, dass die Leute hier andere Probleme haben als "wie wird aus meinem Kind ein Genie". Eigentlich will ich kein Baby auf den Arm nehmen, weil ich dieses "oh wie arm und suess - duzi, duzi" fuer fuenf Minuten ziemlich daneben finde, aber die Haende der Betreuerinnen sind besetzt und ein Baby sitzt auf dem Boden und hoert nicht auf zu schreien. Ich nehme es auf den Arm und beruhige es (mit wunderschoenem Gesang *lach*)...als wir wieder weiter muessen krallt es sich aber so fest und bruellt, dass ich es nicht ueber's Herz bringe, es weg zu reissen. Eine der Frauen bemerkt meine Zwickmuehle und legt ihr King beiseite, um meines zu "uebernehmen". Puh, bin ich froh, dass ich nicht hier arbeite, sonst haetten meine Eltern bestimmt schon mindestens ein Enkelkind mehr.
Weiter geht es zu den Kleinkindern. Als wir die Tuere oeffnen erschrecke ich - ein kahler Raum ohne Spielzeug...nur der Betonboden und viele, viele Kinder. Ich wusste gar nicht, wie faszinierend der Reissverschluss meiner Hosentasche ist...sie greifen sofort nach allem, womit man auch nur im geringsten spielen kann. Man erklaert uns, dass sie alle Spielsachen sofort kaputt machen wuerden, aber ein paar Holzkloetze waeren meiner Meinung nach schon schoen. Jetzt weiss ich auch, warum unser Moses so ein Traeumer ist. Er ist in diesem Heim aufgewachsen und traeumen war der einzige Weg, diesem grauen Zimmer zu entkommen.
Am Boden sitzt ein Maedchen mit einem Klumpfuss, sie hat eine schwere Operation hinter sich und die Fliegen machen sich ueber die Wunde her. Ich finde es grausam und versuche sie zu verscheuchen - ihr dagegen scheint die Kraft dafuer schon ausgegangen zu sein - verstaendlicher Weise!
Im naechsten "Trakt" begruessen wir die alten Menschn und scheinen eine willkommene Abwechslung im Alltag zu sein, es ist schoen sie lachen zu sehen und ihnen die Hand schuetteln zu duerfen. Am Schluss begruessen wir die koerperlich und geistig Behinderten. Viele haben einen Klumpfuss oder gar keine Beine, ein schwarzes Loch im Schaedel anstatt einem Auge, zum ersten Mal nehme ich Lepra als Krankheit bewusst wahr, ein Mann kriecht am Boden...normalerweise haette ich Beruehrungsangst, aber hier wundere ich mich ueber mich selbst. Die einzigen, bei denen ich Probleme habe, auf sie zuzugehen sind die geistig Behinderten, die staendig "wie verrueckt" loslachen - ich weiss nicht warum und schaue etwas unsicher nach rechts zu Fizzi. Sie stockt auch etwas und wir sind beide froh, als wir die Gruppe "ueberspringen" koennen, weil die Pflegerin uns bereits zu den naechsten winkt.
Als wir wieder im Garten sind scheinen alle recht froh zu sein, es wird nicht mehr viel gesprochen, jeder muss die letzte Stunde erst einmal verarbeiten. Aber in einer Sache sind wir uns einig, was die Sisters hier leisten ist unvorstellbar und es gibt nicht viele Menschen mit soviel Mut und Kraft!
Doch Ema wuerde sich hier nicht wohl fuehlen, hoffentlich finden wir einen anderen Weg fuer ihn!!

2 Kommentare:

Nina hat gesagt…

...so jetzt muss ich doch auch auf diesem Weg mal wieder ein paar zeilen schreiben und meinen Senf dazu geben :-) Ich glaub nicht nur deine Eltern sind froh, dass du nicht dort arbeitest, sondern wir alle auch! So wie ich dich kenn, hätten auch die Eltern deiner Freunde bestimmt schon ein paar Enkelkinder mehr!
ganz liebe Grüsse nach Afrika, ich drück dich, nina

Rita hat gesagt…

Liebe Annette,

jetzt komm ich endlich auch mal dazu, mir in Ruhe Deine Erlebnisse und diese Seite im Allgemeinen zu Gemüte zu führen und ich muss sagen: Ich bin beeindruckt. Von Deiner Courage, von Deiner Warmherzigkeit und von der Selbstverständlichkeit, mit der Du von Deinen Eindrücken erzählst... fast so, als wärst Du nie woanders gewesen.
Ich als altes "Heimatpflanzerl" (nicht zu verwechseln mit dem "Fleischpflanzerl"... des hättst jetzt gern, ge? (;-))) hätte wahrscheinlich schon beim Check-In am Flughafen vor Angst und Verzweiflung in die Auslegeware gebissen, aber es ist eben nicht jeder aus demselben Holz geschnitzt.
Ich wünsche Dir jedenfalls von Herzen weiterhin so beeindruckende, erhellende, bleibende Erlebnisse und das Gefühl, etwas bewirkt zu haben. Bleib tapfer, mutig und UM HIMMELS WILLEN: Lass die Kinder daheim! Mir reichen meine Beiden dicke und NEIN sagen könnte ich mit Sicherheit auch garnienicht *lach*...

Ich bin gespannt, wie es mit Ema weitergeht...

Sei lieb gegrüßt aus dem eiskalten München!

Rita